Man hat mich freundlicherweise gebeten, diese Einführung zur NO-Show zu schreiben - aus zwei merkwürdig zutreffenden Gründen: Ich bin Herausgeber der "Beats", eine Anthologie von Prosa und Gedichten der Beatgeneration, und Chefredakteur des Magazins "Nugget" . Wenn man die Ausbrüche der Beat-Literatur mit dem direkt erotischen Ansturm eines Magazins wie "Nugget" vereint, entsteht eine einmalige Verbindung von Elementen, die man sich in unserer eigenartigen, schielenden Zeit, in der wir leben, nicht besser denken kann. Texte wie Bilder rühmen sich der Quellen unterdrückten Lebens, die keinen Eingang finden konnten in Publikationen und Zeitungen wie die "New York Times", den "New Yorker" oder sogar die "Partisan Review". Bestenfalls wirkt diese Zur-Schau-Stellung von Fleisch und Freimütigkeit verstörend auf die oben genannten geistig nerzgefütterten Unternehmungen; dort, wo die Entblößung am freimütigsten ist, beleidigt sie bitterlich die Traditionalisten, für die Ausdruck immer noch zart sein soll, wählerisch und diskret bekleidet.
Ohne den Sachverhalt forcieren zu wollen, sehe ich einen unverwechselbaren Zusammenhang zwischen einem Magazin wie "Nugget" und der gegenwärtigen Ausstellung. Obwohl wir noch nicht so weit gegangen sind wie etwa die Künstler Boris Lurie und Sam Goodman - schließlich können wir als Magazin für die Massen, leere Formeln und Stumpfheiten nur schrittweise zerstören - so haben das Magazin und diese Ausstellung doch eines gemeinsam: eine Leidenschaft für zeitgenössische Bildsprache. Beide sind Medien zur Freigabe höchst lebendiger, rassiger und sarkastischer Anblicke und Szenen, die das empfindliche amerikanische Auge nahezu überwältigen. Die Maler in dieser Ausstellung, von den schrillen Warnungssirenen des Stanley Fisher bis zu den obzessiv phallischen Inhalten der Yayoi Kusama, sind allerdings viel aggressiver als alles, was wir uns bisher erlaubt haben; wenn unser Blatt überleben will, muss es gelegentlich auf das klingeln der Kasse hören, und das heißt, dass wir stets auf der Hut sein müssen, die Leute nicht zu alarmieren, sondern auch zu unterhalten. Die meisten Werke in dieser Ausstellung sind dagegen höchstens im Nachhinein unterhaltend; in erster Linie wollen sie Verbindungen herstellen, oder genauer gesagt, eine wilde Erfahrung sein, ohne all diese diplomatischen Raffinessen, derer sich die kommerzielle Kunst unterwerfen muss. Diese Künstler sind sozusagen völlig frei in ihren Visionen und nicht belastet mit dem Mief der Psychologie und sogar des künstlerischen Lebens.
Das allein ist schon ein Grund zu ehrlichem Respekt vor ihnen, auch wenn man sich über den kalkulierten Extremismus einiger Arbeiten ärgert oder davor zurückprallt. Warum? Weil ernsthafte Kunst in einer eher feigen Massengesellschaft, wie es unsere ist, dem Publikum stets von neuem zeigen muss, dass sie in etwas anderem begründet ist als nur in einem dekorativen Zweck oder einfach in der Herstellung eines kunstvollen Werkes, das vom Massen-Medien-Mensch ohne Verdauungsstörungen verschlungen wird. Amerika ist heutzutage kein Ort für ein zu verehrendes Schönheitsideal, das die Selbstzufriedenheit unangetastet lässt. Jeder Winkel unseres Lebens ist ohnehin so oberflächlich geglättet und voller Kompromisse, dass wir nicht auch noch eine Kunst brauchen, die uns beschwichtigt. Herrliche französische Meister sind jetzt nicht gefragt. Wir brauchen Kunst, die schreit, brüllt, kotzt, tobt, rast, mordet, vergewaltigt und jede blutige obszöne Tat begeht, um nur einen Zipfel jener menschlichen Gefühle bloßzulegen, die unter den sanitären Kacheln unseres Reklamehimmels gefangen liegen.
Die meisten von uns, Maler und andere Leute, leben heutzutage 24 Stunden lang inmitten ständiger und bisher unvorstellbarer Verwirrung. Wir sind benommen. Unsere Werte, Sinngebung und unser seelisches Gleichgewicht werden von allen Seiten durchlöchert und mit den selbstgebastelten Kinderpistolen des neuen Barbarentums, das die amerikanische Zivilisation auf uns losgelassen hat. Kein Mensch mit Empfindung entgeht den Absurditäten, Unwürdigkeiten, dem Gefühl, in einem Mischmasch von Taxis, Coca-Cola-Maschinen und engen Jeanshosenböden zu ertrinken, in dem materiellen Karneval, den unsere Gesellschaft gleich Pyramiden zusammengetragen hat, und zwar jenseits von Lachen und Weinen. Das ist das Leben, das wir mit unseren eigen Augen sehen können; aber an den alten Maßstäben gemessen ist es dermaßen unmöglich, unsere Erfahrung mit den trostreichen Formen früherer Epochen aufzuhellen. Diese Künstler sind viel zu verliebt in die Missgestalt des gegenwärtigen Lebens, um ihre Visionen verfälschen zu wollen: die meisten Arbeiten in dieser Ausstellung versuchen in angemessener brutaler Weise mit einer viehischen Umwelt fertig zu werden.
Eine Arbeit von Allan Kaprow ist in meinen Augen eine Ausnahme: Sie ist besonnen, kalkuliert und wirksam im Sinne von beherrscht und abgegrenzt. Sein Geschmack ist klassisch, aber seine Sehweise ist zu vorsichtig bemessen, um das, was man sieht, allgemein verbindlich zu machen. Esther Gilmans zerbrochener Christus zeigt die Enttäuschung nach einem persönlichen religiösen Erlebnis, bittere Desillusionierung ist vielleicht die bessere Bezeichnung; zweifellos gelungen, aber auf einer vergleichsweise erträglichen Ebene leerer Hoffnungen. Michelle Stuarts sadomasochistische Portraits und Yayoi Kusamas Garten der Penisse scheinen sich mehr direkt mit Farbe und Phantasie auseinander zusetzen, freilich immer bezogen auf die weibliche Empfindsamkeit - so weit ab von der meinen, dass ich zum Übersetzer ohne Einfühlung für die Sprache der drei Damen werde; ich kann nur raten, auf ihre gebrochenen Melodien mit dem eigenen sinnlichen Rüstzeug zu reagieren.
Die Arbeiten der Männer dagegen, wie die von Lurie, Goodman, Fisher und Tyler, treffen einen, als hätte jemand einen Felsbrocken durch das Fenster der Synagoge geschleudert. Krach! - Und hundert Empfindungen folgen im Leichenzug, Blasphemie, Gewalt, Hass, Erleichterung, Furcht, Ekel, Zorn. Nachdem ihnen die Kritik für ihre vorhergehenden Ausstellungen in der March Galerie - die Vulgär-Show, Involvement und Doom-Show - eine erste Abreibung versetzt hatte, zeigt diese Gruppe der "Unmodernen" mit erschreckender Deutlichkeit, dass sie eine Knall-auf-Fall-Kunst der sechziger Jahre erfunden hat, die viele Leute auf einen anderen Weg bringen wird. Sie benutzen alle ästhetischen Mittel - Collagen in Mischtechniken, Überdrucke, die Boris Lurie "Simultan-Angriffe" nennt -, um das Auge zu torpedieren und alle Klischeevorstellungen zu vergewaltigen. Sie sind eine Bande von Vergewaltigern, und zwar ungeduldige, rücksichtslose, offene Hosentüren zeigende und tatendurstige heiße Popkünstler, die sich paaren wollen, nicht lauwarme Künstler, die vor einem Spiegel herumspielen.
Ihre schreienden Farben, die plakathaft preisgegebenen Gefühle, der flotte Tingeltangel-Ton des Vergnügungsparks von Coney Island sowie der Verzicht auf jegliche Schattierung des verwendeten Materials, all das sind die absichtlich reißerischen Mittel, um den Leuten den amerikanischen Alptraum so richtig mundgerecht zu machen. "Ein schlittschuhlaufendes Streichholz im Pissoir" war Hart Cranes nahezu keuscher bildlicher Ausdruck seines Ekels vor dreißig Jahren; jetzt hat der Ekel sich vervielfacht in zertrümmerten Fernsehgeräten, in Pin-ups neben Massengräbern von Konzentrationslagern, kurz: die ungeschnittenen Filmstreifen des zeitgenössischen Unterbewusstseins, die gewöhnlich in unserem geistigen Papierkorb landen. Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass der Dreck und die Hysterie des New Yorker Textilviertels, die einem aus der einen oder anderen Arbeit entgegenspringen, mich manchmal krank machen, auch wenn ich ihre Notwendigkeit einsehe. Die Arbeit von Stanley Fisher ist ein gutes Beispiel dafür. Das Bild hängt über meinem Kamin. Ich habe es auf seiner Ausstellung "Hilfe!" gekauft. Das Bemerkenswerte daran ist, dass es mir den Times Square mit seinen Strichmädchen und mit seiner Selbstmörder-Pillen-Verzweiflung ins Zimmer bringt. Ich komme mir davor wie nackt vor, es ist eine Trophäe, erjagt im Dschungel des öffentlichen Lebens, es scheint zu leben. Das Bild ist mir widerlich, weil es so grob, ordinär, schmierig und schrill ist, kaum abgehoben von den fiebernden Straßen, die es inspiriert haben. Und doch liebe ich das Bild um seiner Realität willen. Selbst bin ich kein Maler, doch erscheint es mir bemerkenswert, wie die Wirklichkeit, mit der ich und Tausende meiner Generation täglich fertig werden müssen, ergriffen und unter Fluchen in ein Kunstwerk gepresst wurde.
Das Leben, das wir heute in New York und Amerika zu führen gezwungen sind, wirkt oft wie ein schlechter Hasch-Traum: paranoid und grausam absurd, mit gewöhnlichen Worten nicht mehr faßbar. Viele Arbeiten in dieser Ausstellung zeigen die bisher engste Annäherung an unser gegenwärtiges Irrenhaus, unsere existenzielle Situation, die ich gesehen habe. Einige Arbeiten sind so unausgeglichen wie eine Berg- und Talbahn und die Künstler, vom Schwindler bis zum Heiligen, sitzen alle im selben Boot. Aber das sind kleinliche Angelegenheiten verglichen mit dem, was uns mehr und mehr belastet. Die gegenwärtigen Verhältnisse erzeugen ein wahnsinniges Getöse, das sich gleichsam aus den Straßen erhebt und vom Himmel auf uns herabfällt. Und die gleichen Verhältnisse haben eine Gruppe von Künstlern dazu inspiriert, diese Zeiterscheinungen mit ihren eigenen Mitteln anzugreifen. Wie richtig und notwendig für uns alle!
Dieser Augenblick ist eine Bestandsaufnahme von Dingen, die man schon kennt - aber doch nicht ganz auf diese Art und Weise! Dies ist ein Karneval der anderen Seite des „Sight-Circus", ein Adjektivum, das Hülsenkamp und Tzara gebrauchten. Tristan hasste die mit einem scheinheiligen Lächeln überzogene „Gemütlichkeit" der guten alten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und Hülsenkamp hasste solche Stimmungen, in denen Gespräche und Beziehungen erschlafften. Solch ein vergangener Augenblick ist jetzt in Form eines Protestes wieder ausgegraben worden - und das wurde nicht um des Gefallen willens getan! Die Ausstellung ist wirklich eine Sache, ein Hauptwort, das die Zeit selbst hervorgerufen hat, um uns von den Übriggebliebenen Monotonien und gehüteten Konventionen zu befreien, um uns heimzusuchen, nachdem wir sie längst für tot gehalten haben, ... der Mond ist der Zeuge aller Liebeslieder ... Diese Ausstellung hier beweist, dass das, was Tristan, Tzara und Hülsenkamp als „Fait accompli" angesehen hatten, immer noch eine Wunde ist, die unsere Gefühle verletzt ... und unsere liebsten ästhetischen Konventionen.
Ich bin ein Unbeteiligter und will auf der anderen Seite bleiben. Sinnlosigkeit und Verlust werden sonst nämlich zur Gewohnheit, zur Zwangsvorstellung. Denn meine eigenen liebsten Gedanken sind mit jenen, die die Früchte der Vergangenheit weitertragen und diese mit Hingabe und Talent gewinnen, wie es die Bedürfnisse und Bestimmungen verlangen. Eine Million Sterne, ich bin in ihrem Gefolge. Und wenn ich auch nicht hier zu euch gehöre, bewundere und verehre ich doch eure Anstrengungen.
Über DE HIRSH MARGULES: New Yorker Künstler, 1899 in Rumänien geboren; bekannt für seine Zeitbilder und Aquarelle in den 40er und 50er Jahren; war Kriminalreporter für die New Yorker Presse; 1926 Mitglied von Pariser surealistischen Künstlergruppen; befreundet mit George Antheil, Walkowitz und Buckminster Fuller.