Die Arbeiten von Boris Lurie schockieren. Viele entstanden vor mehr als 50 Jahren und haben bis heute ihr Potenzial, an den Rand des rträglichen zu führen, zu brüskieren und zu polarisieren, nicht verloren. Die zutiefst existenziellen und eigentümlich europäischen Züge seines Werks und nicht zuletzt dessen aggressiv politische Ausrichtung machten Lurie zu einem Fremdkörper in New Yorks Kunstwelt des Abstrakten Expressionismus und der Pop-Art, eine Position, die er bis zu seinem Tod 2008 beibehielt.
Das NS-Dokumentationszentrum präsentiert Luries umfassende Ausstellung in Kooperation mit der +++ BORIS LURIE ART FOUNDATION, New York, und unter der kuratorischen Leitung der Galeristin Gertrude Stein. Zu sehen sind die ersten eindrücklichen Arbeiten, die unmittelbar nach der Befreiung aus dem KZ entstanden, und in Europa noch nie gezeigte Arbeiten der 1940er und 1950er Jahre. Im Kellergeschoss wird erstmalig auch eine Auswahl seines beeindruckenden skulpturalen Werks aus den 1970er-Jahren vorgestellt.
Der 1924 in Riga geborene, aus einer jüdischen wohlhabenden Bürgerfamilie stammende Künstler durchlitt unmittelbar die großen Katastrophen und Umbrüche des 20. Jahrhunderts. Er überlebte gemeinsam mit seinem Vater das Rigaer Ghetto und die Konzentrationslager Stutthof und Buchenwald. Seine Mutter, seine Großmutter, seine jüngere Schwester und seine große Jugendliebe wurden 1941 bei dem Massaker von Rumbula in der Nähe von Riga ermordet.
Eine Opferhaltung verinnerlichte Boris Lurie nie. Die Schrecken des Erlebten thematisierte er in den Künstlerkreisen, die er in New York suchte und fand, nicht als persönliches Schicksal. Er formulierte jedoch seinen Widerstand gegen Ohnmacht und Gewalt, die sein Leben in der prägenden Jugendphase überfallen und dominiert hatten, mit einem entschiedenen NEIN.
Die von ihm 1958 mitbegründete Künstlergruppe NO!art sah sich in scharfem Kontrast zum abstrakten Expressionismus und zur Pop-Art. Imperialismus, Rassismus, Sexismus, Konsumrausch und nukleare Bedrohung gehörten zu den Themen der streitbaren Gruppe, die nur wenige Jahre gemeinsam agierte.
AUSSTELLUNGSANSICHTEN
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PRESSE | INFORMATION
Im Auftrag der »Boris Lurie Art Foundation, New York« hat MWK-Werbeagentur die Verantwortung für die Werbung sowie für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für eine Kunstausstellung im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln übernommen. Schnell war klar, dass wir es bei der Fokussierung auf die werbliche Außenwirkung allein nicht belassen konnten. Das Mühen in der Arbeit an dieser ganz besonderen Kunstpräsentation bedurfte einer intensiven organisatorischen und inhaltlichen Anstrengung über Zeitzonen hinweg. So holten wir Kunsthistorikerin Regina Schulz-Möller mit ins Team, die die jetzt gezeigte Ausstellung schließlich auch mitkuratierte. Arbeitsreiche Tage und Nächte, packende und berührende inhaltliche Auseinandersetzungen mit Gänsehauteffekt und letztlich eine Menge Freude an dieser herausfordernden Aufgabe prägten die letzten beiden Monate. Wir sind sehr froh und zufrieden, unseren Beitrag zu dieser bedeutenden Werkschau geleistet zu haben und können einen Besuch im NS-DOK nur empfehlen! | MWK ist Kooperationspartner des ►WEISSEN RING.
In der Ausstellung, die in Kooperation mit der +++ BORIS LURIE ART FOUNDATION, New York, und unter der kuratorischen Leitung der Galeristin Gertrude Stein entwickelt wurde, sind die ersten eindrücklichen Arbeiten, die unmittelbar nach der Befreiung aus dem KZ entstanden, sowie in Europa noch nie gezeigte Arbeiten der Vierziger und Fünfziger Jahre zu sehen. Im Kellergeschoss wird erstmalig auch eine Auswahl seiner beeindruckenden skulpturalen Werk aus den Siebziger Jahren vorgestellt. | Download ►Presse-Info
PRESSEKONFERENZ
Pressekonferenz mit Vertretern der BORIS LURIE ART FOUNDATION [BLAF]
links: Igor Satanovsky [BLAF Art Director], daneben: Anthony Williams [BLAF BOARD]
IGOR SATANOVSKY is a bilingual Russian-American poet, translator, visual artist, and an award-winning book designer. Born in Kiev, moved to the United States in 1989, received his BFA in art studio from Brooklyn College in 1994. He is an author of one poetry collection in English, and several poetry collections in Russian. In his work, Satanovsky combines the innovative spirit of Russian Avant-Garde with the cutting edge American poetics. He is currently a Senior Designer at Sterling Publishing; a publisher at Koja Press; and a co-editor of Novaya Kozha, Russian-language magazine.
Source: http://www.zoominfo.com/p/Igor-Satanovsky/134264169
ANTHONY WILLIAMS: As a senior partner in DLA Piper's Corporate and Securities group in New York, Mr. Williams works on commercial transactions, including mergers and acquisitions, private equity investments and financings for American, European and Asian clients. He brings to his practice extensive international experience in financial management, investments, accounting and business development. Current directorships include AXA Art Insurance, Inc.; Intelligent Engineering, Ltd. (Advisory Board); Mannheim Media LLC; Plymouth Holdings Limited, a British Virgin Islands investment company; R&W Holdings, LLC; Cooper River Partners, LLC; and Senetek PLC, on which he serves as Vice Chairman.
Mr. Williams serves on a number of civic/charitable boards, including as Vice Chairman of the board of HELP USA, Inc., a developer and operator of transitional and low-income housing for the homeless and poor; Chairman of the board of the Harvard/MIT Joint Venture – Health Sciences and Technology; Director of the Friends of the Heidelberg Center for American Studies; Robert F. Kennedy Center for Justice and Human Rights (Executive Committee); the Bermuda Institute of Ocean Sciences; the German American Chamber of Commerce; and City University of New York – Business Leadership Council. |
Source: +++ http://borislurieart.org/2011/anthony-williams
AUSSTELLUNGSKATALOG
KZ – Kampf – Kunst Boris Lurie: NO!art | Verlag: NO!art Publishing, New York, USA | Paperback H 27,9 x B 21,6 x T 2,2 cm | 360 Seiten | Abbildungen: 154 Kunstwerke, 17 weitere Fotos durchgehend vierfarbig gedruckt | Sprachen: Deutsch und Englisch | ISBN-13: 978-0-0905376-0-1 Preis: 25 Euro +++ Bestellung
Igor Satanovsky's speech at the opening reception of KZ-KAMPF–KUNST / BORIS LURIE: NO!ART exhibit at the National Socialism Documentation Center in Cologne, Germany, on August 26, 2014.
Julia Maria Trilling translates into German. https://www.youtube.com/watch?v=jEczlWpZnDo#t=25
PROGRAMM
29. August 2014, 16 Uhr, Freitag + 24. Oktober 2014, 16 Uhr, Freitag Bild I er I leben Psychologische Bildbetrachtung nach Dr. Hans-Christian Heiling
Ort: EL-DE-Haus | Treffpunkt: Museumskasse | Eintritt: frei
7. September 2014, 14 Uhr, Sonntag + 19. Oktober 2014, 14 Uhr, Sonntag
Shoah und Pin-ups | Dokumentarfilm über Boris Lurie | Von Reinhild Dettmer-Finke, Matthias Reichelt, Deutschland 2006 | 88 Min. | Anschließende Führung durch die Ausstellung mit Heike Rentrop Ort: EL-DE-Haus | Treffpunkt: Museumskasse | Eintritt: 10 Euro
15. September 2014, 18 Uhr, Montag
Exklusiv | für Mitglieder des Vereins EL-DE-Haus e.V. Führung durch die Ausstellung mit Heike Rentrop | Ort: EL-DE-Haus | Treffpunkt: Museumskasse | Eintritt: frei
27. September 2014, 18 Uhr, Samstag
Die lange Boris-Lurie-Filmnacht
»Shoah und PIN-UPS« + »Wir haben es doch erlebt« – Das Ghetto von Riga
Ort: Filmhauskino, Maybachstraße 111, 50670 Köln | Eintritt / Euro: für beide Filme 9 | erm. 7,50 | Filme einzeln 6,50 | erm. 5
5. Oktober 2014, 14 Uhr, Sonntag + 2. November 2014, 14 Uhr, Sonntag
Führung durch die Ausstellung mit Heike Rentrop
Ort: EL-DE-Haus | Treffpunkt: Museumskasse | Eintritt: 6 Euro
30. Oktober 2014, 19 Uhr, Donnerstag
Boris Lurie: NO!art | Vortrag von Heike Rentrop
Ort: EL-DE-Haus | Treffpunkt Museumskasse | Eintritt: 4,50 Euro | erm. 2 Euro
EINLEITUNG VON RUDIJ BERGMANN
BORIS LURIE - AUF DEN SPUREN EINES AUSSENSEITERS
1924 in Riga geboren, überlebte der aus einer jüdischen Bürgerfamilie stammende Künstler und Autor Boris Lurie gemeinsam mit seinem Vater die Konzentrationslager Stutthof und Buchenwald. Vom 27. August an zeigt das NS-Dokumentationszentrum in Köln das Werk des ewigen Außenseiters.
SEHNSUCHT NACH EUROPA: Als ich Boris Lurie im Zwielicht eines Hausflurs in Manhattan zum ersten Mal sah, da begriff ich ziemlich schnell seine Sehnsucht nach Europa. Das war 1996 im Oktober. Ein ►Film über Lurie war Grund und Ziel meiner Reise. Daraus wurde eine lange Freundschaft. Und auch ein Film, den ich unlängst an einem fernen Ort in der Extremadura zeigte, der ziemlich genau zwischen Madrid und Lissabon liegt. Im +++ Museo Vostell im spanischen Malpartida de Cáceres.
Dort in Zusammenarbeit mit der New Yorker +++ Boris Lurie Art Foundation die erste europäische Ausstellung nach dem ►Tod (2008) des NO!art-Künstlers zu platzieren war eine kluge Entscheidung. Umgeben von der vermutlich größten privaten Fluxus-Sammlung der Welt, die der Italiener Gino di Maggio als Dauerleihgabe dem Museum überlassen hat, kann Bons Luries Werk wieder stärker in den Fokus des Kunstdiskurses rücken.
GEWALT ALS KONZEPT: ►Wolf Vostell hatte mich eindringlich auf Luries verstörende Bildwerke aufmerksam gemacht: KZ-Häftlinge, auf ihre Befreiung wartend. Gespenstergestalten zwischen Lebenshoffnung und Gebrochenheit. Ornamentiert von Pin-up-Girls in eindeutigen Posen. Das war Konzept, keine pornografische Laune. Die Schönen und die Nackten, die Vergasten und die Entkommenen hat Lurie, der Überlebende eines Außenlagers des KZ Buchenwald, zu seinem Thema gemacht. Jonglierend auf des Messer Schneide im Minenfeld voyeuristischer Lust und puren Entsetzens.
GEDICHTE IN STUTTGART EDIERT: Die Kunst von Lurie, der wohl 1946 seine von den Nazis erzwungene Wahlheimat New York erreichte, war der Ausgangspunkt meines Films. Und es war so, wie ich es erwartet hatte: Aus der Kunst erzählte sich das Leben quasi wie von selbst. So wurde es kein Film über den Schoah-Überlebenden; doch die Schoah, der Holocaust war allüberall. Wer seine Atelier-Wohnung in der 66. Straße betrat, der ahnte, dass Lurie das KZ mental niemals verlassen hatte. Das hallt auch in wundersamen Texten wider, verfasst in Luries „balten-deutscher" Muttersprache. Poesie, die tragisch bis zum Lachen und Heulen ist: ►Geschriebigtes/Gedichtiges - 2003 im Stuttgarter Eckhart- Holzboog-Verlag erschienen.
GEGENWELT ZUM POP: Die bildnerische Kunst ist substanziell eigene Erfahrung des 1924 in Leningrad geborenen, in Riga aufgewachsenen Boris Lurie. Politisch ist sein Werk, das weit über die Schoah hinaus ins Amerika des Vietnam-Krieges, der Kuba-Krise, des Kalten Krieges reicht, ein Angriff auf den „guten Geschmack", eine Attacke auf die abgekarteten Regeln in Politik, Kunst und Gesellschaft.
Das war auch das ►Programm der von Lurie mitbegründeten und wesentlich bestimmten NO!art -Bewegung, die sich als Gegenschlag von Pop-Art verstand. Er ist sozusagen deren Andy Warhol. Pop-Art definierte Lurie als eine zum Chauvinismus neigende Verherrlichung der amerikanischen Konsumgesellschaft, wie er es im Film formuliert. Gesellschaftskritisches konnte er an Pop-Art nicht erkennen.
Künstlerisch-ästhetisch steht Lurie, der nach 1950 die Collage für sich entdeckt, den ruppigen Fluxus-Künstlern nahe, deren Leben und Werk sich in der Sammlung Sohm der Stuttgarter Staatsgalerie studieren lässt: zum Beispiel ►Jean-Jacques Lebel; mit dem Franzosen hat Lurie in New York zeitweise zusammengearbeitet. Vor allem aber ►Wolf Vostell, mit dem politischsten aller Fluxisten verband ihn eine lebenslange Freundschaft in Kunst und Leben, deren Grundlage beider Auseinandersetzung mit der Schoah blieb.
GEISTIGES NETZWERK: Wie eng diese „jüdische" Wahlverwandtschaft war, zeigte sich beim Filmabend am 3. Juli 2014 im einst privat von Vostell und seiner Frau Mercedes gegründeten Museum, das nun von der Provinz Extremadura mit verantwortet wird. Dort stellte ich den 1996 in New York gedrehten Lurie-Film jenem mit den Vostell-Arbeiten „Schwarzes Zimmer" und „Shoa" gegenüber. Das „Schwarze Zimmer" (Deutscher Ausblick) entstand 1959. Alltägliche Dinge zusammengepfercht zu einem Raum des Schrecklichen. Scheinwerfer. Stacheldraht, Kinderspielzeug. Blei. Kleiderfetzen. Beton. Alles, damals zumindest, kunstunwürdige Gegenstände. Und der Fernsehapparat, geradezu die Signatur der Kunst Vostells. Zu sehen entweder Bildstörungen - und ein Rauschen, als schwirrten da Heuschrecken - oder das aktuelle Fernsehprogramm am jeweiligen Standort. Wenn im Fernsehen, sagt Vostell in diesem Film, eine Dokumentation über Auschwitz liefe, dann wäre Auschwitz im „Schwarzen Zimmer".
1997 entsteht das Triptychon „Shoa". Ein mit Beton gemalter Pfeiler dominiert das Bild; er saust unerbittlich auf die in Acryl dargestellten Menschen nieder. Kubistisch anmutende Figurationen in Vostellscher Manier, die stark an die riesigen Steinblöcke der Extremadura erinnern. Die letzte große Arbeit des Künstlers als Maler, als den man ihn erst wieder entdecken muss: den 1492 vertriebenen spanischen Juden und den durch Nazideutschland ermordeten Juden Europas gewidmet.
Der Film hat keinen Text. Künstler und Filmemacher dialogisieren. Auch über die schweren künstlerischen Anfänge und die damalige Abneigung von Sammlern, Museen und Medien gegen „zerfetztes Papier und gepresstes Blech". Der Film entstand zum 65. Geburtstag des Künstlers. Man sieht, was Freunde wissen: Vostell ist krank. Wenige Monate später ist er tot.
LURIE GREIFT AN: Das „Schwarze Zimmer" ist in der Ausstellung „Beuys Brock Vostell" im Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe zu sehen. Das Gemälde „Shoa" im Museum Sefardi, der ehemaligen Synagoge von Toledo, der ersten Station meiner Reise, bevor ich das Museo Vostell erreichte. Manches bisher nur selten Gezeigte von Boris Lurie ist dort zu entdecken. Wie das Gemälde „Three Women" von 1955, welche an Goyas Unheil verkündende Gespenster erinnert. Vor allem seine Collagen sind grausame Meisterwerke der Erinnerungskunst, die nicht jammert, nicht geschwätzig ist, sich nicht zurückzieht in sichere ästhetische Gefilde. Lurie greift an: Die Verschweiger ebenso wie die Täter und Mitläufer und jene, die angeblich von allem nicht gewusst hatten. Natürlich fehlt einiges. Vor allem großformatige Öl- und Collage-Bilder wie „Lumumba is Dead", in denen sich Lurie mit dem Kalten Krieg auseinandersetzt. Das mag konservatorische Gründe haben. Im Katalog ist, was fehlt, abgebildet.
Auch das zentrale Werk von Boris Lurie, das ich in der verdienstvollen Ausstellung schmerzlich vermisse: Die ►Railroad Collage, gerade 35 mal 57 Zentimeter groß. Eines jener Werke, das auch immer wieder den Überlebenden und deren Nachkommen zu schaffen machte. Eine sich den Slip über den ansehnlichen Po abstreifende Pin-up-Lady: Diese klebte Lurie auf das Foto eines Waggons mit Leichenteilen, so als ob sie ihren virtuellen Vorderkörper den Ermordeten feilböte.
Der Vorwurf, Boris Lurie, dessen Mutter und Schwester von den Nazis umgebracht wurden, verunglimpfe die im KZ Ermordeten, ist so verständlich wie falsch. Lurie ist sich der Zwiespältigkeit seiner Kunst bewusst. Im Film sagt er sinngemäß, er hätte lieber impressionistisch gemalt, was er ganz gut könne. Aber da wäre immer der Zwang gewesen, sich mit der Vergangenheit und Aktuellem auseinander zusetzen. „Bei mir persönlich", sagte Lurie, „standen die Pin-ups auch für die Massengräber wie etwa in Riga, wo meistens Frauen erschossen wurden." Das erotisch aufgeladene Gesamt-Werk Luries sollte man vor allem auch als Sinnbild des triumphierenden Lebens über alle Massen- und Völkermorde der Geschichte lesen. Also als den durchaus janusköpfigen Sieg der Liebe und der Triebe.
WAS LURIE NICHT GELANG, SCHAFFEN SEINE BILDER: Im Jahr seines 90. Geburtstages sind sie temporär nach Europa zurückgekehrt. Und bald auch zu ihrem Ausgangspunkt Deutschland. In veränderter Form wird die zweite Station das NS-Dokumentationszentrum Köln sein. Zweifellos eine wichtige Institution, gut vernetzt in der Museumslandschaft, deren Publikum weit über die Kunstinteressierten hinausreicht. Ein solches Publikum, zumal ein Junges, ist wichtig. Aber wahr bleibt: Kunst, die über den Anlass ihres Entstehens hinaus wirken soll, braucht einen Platz im Museum. Das gilt für Picassos Kunst ebenso wie für die von Boris Lurie. Alles andere ist alles andere.
ÜBER RUDIJ BERGMANN: Der Muse(e)nfreund. Hektisch ist er nicht, der 1943 im Rheinland geborene Filmemacher und Kunstliebhaber Rudij Bergmann, wie man es von einem echten Fernsehmann erwartet hätte. Und er hat so viel zu erzählen, dass es schwierig ist, in seinen umtriebigen Gedankenfluß ein wenig Stringenz zu bringen. Über seine Jugend und Schulzeit schweigt sich der Autor beeindruckender Künstlerdokus zunächst aus. Erst nach Abschluss der Schule scheint es interessant geworden zu sein. Denn Bergmann wollte Schriftsteller werden, und veröffentlichte Gedichtbände. Seine eigentliche Liebe aber galt damals der Politik. Sein Engagement war so stark, dass er selber es als sein „ alter ego“ bezeichnet und das auch der Grund ist, warum er aus der Heimat später in den Südwesten zog. Und er vertrieb er sich die Zeit als Weltenbummler und Bohemien in Köln. „Ich wollte immer Dichter sein“, erklärt Bergmann, daher verkehrte er vorzugsweise in Künstlerkreisen, war aber zwischendurch auch einmal für drei Tage Filialleiter eines Feinkostgeschäftes. Sogar in dunklen rauchigen Jazzkellern spielte er Freejazz auf seinem Saxophon, - „ich führe noch immer ein ZickZackleben“. Durch sein Elternhaus erfuhr er eine gewisse politische Vorbildung, die das Kind Rudij Bergmann durch das Studium der Stücke Camus erweiterte. Die Bühne hat ihn weitergebildet.
REZENSIONEN
AUFSCHREI GEGEN DAS VERGESSEN
NS-Dokumentationszentrum zeigt Werke
vom "NO!art"-Künstler Boris Lurie
Von Christin Otto
Er hätte gerne schönere, angenehmere Bilder gemacht, hat Boris Lurie einmal gesagt, "aber es hat mich immer etwas daran gehindert". Die Werke des 2008 verstorbenen Künstlers sind vor allem eines: laut. Auf brutale Weise spiegeln sie die Realität – eine Realität, die Lurie selbst durchlebt und die ihn nie wirklich losgelassen hat. Während des Holocausts hat der 1924 in Leningrad geborene Sohn jüdischer Eltern einen Großteil seiner Familie verloren. Mit ihnen hatte er in Riga gelebt. Als deutsche Truppen die Stadt im Juli 1941 einnahmen, wurden Lurie und seine Angehörigen jedoch in das im Randbezirk errichtete Ghetto gebracht. Luries Großmutter, Mutter, jüngere Schwester und seine Jugendliebe wurden dort ermordet – entkleidet, mitten im Winter, vor Gruben in einem Waldstück stehend, mit einem Schuss in den Hinterkopf niedergestreckt. Lurie und sein Vater hingegen kamen in immer wieder neue Konzentrationslager und wurden schließlich in Buchenwald befreit.
Die ►Biografie Luries spiegelt sich nicht nur in dessen Bildern – sie verbindet den Wahl-New-Yorker auch mit Köln. "Die Menschen im Ghetto Riga wurden ermordet, um Platz zu schaffen für die aus dem Altreich Deportierten, darunter auch Kölner Juden – über Tausend, die nach Riga gebracht worden sind", berichtet NS-DOK-Direktor Werner Jung, dessen Haus die Werke Luries ab sofort zeigt. Obwohl die Schau mit ihren radikalen, zum Teil obszönen Bildern auf den ersten Blick unüblich scheint für das Dokumentationszentrum am Appellhofplatz, so ist Museumsleiter Jung doch überzeugt: "Das wir die Werke zeigen, macht natürlich Sinn. Das Ungeheuerliche des Holocausts ist durch das Künstlerische oft einfacher zugänglich."
Tatsächlich drehen sich unzählige Arbeiten Luries um die Shoa. Seine Erlebnisse im Ghetto Riga hat er bereits 1946 mit einem autobiografischen Bilderzyklus in unterschiedlichster Form auf Leinwand und Papier gebracht – darunter ein Portrait seiner Mutter kurz vor der Erschießung. Dennoch sind Luries Arbeiten weit entfernt von klassischer Gedenkkunst, er selbst hat sich nie als Opfer bezeichnet. Seinen künstlerischen Durchbruch erlangte Lurie durch das Collagieren. Wie besessen hatte er in seinem New Yorker Atelier Bilder von amerikanischen Pin Ups gesammelt – voller Abscheu und Faszination zugleich. Die zum Teil pornografischen Aufnahmen bringt Lurie mit Aufnahmen von KZ-Häftlingen und Leichenteilen zusammen. Ein Aufschrei gegenüber einer bigotten Gesellschaft, deren Kunstbetrieb sich mit der zeitgleich aufblühenden Pop Art in den 50er- und 60er-Jahren vor allem der schönen Welt, dem Konsum, dem Inhaltslosem widmet. Lurie – selbst hochpolitisch – prangert dabei aber nicht nur das Vergessen und die Sprachlosigkeit gegenüber dem Holocaust an, sondern greift auch Themen wie die Kuba-Krise, die Ermordung Kennedys, Sexismus und Rassismus auf.
Mit seinen Arbeiten etablierte Lurie 1959 eine eigene Kunstrichtung: die ►NO!art. Ein klares Nein zum vorherrschenden Kommerz und der Leere von Kunst und Gesellschaft. Obwohl Lurie es selbst schon fast Sünde ansah, Kunstwerke zu verkaufen, hatte er doch genaue Vorstellungen über den Wert seiner eigenen Arbeiten. Vermögend wurde er durch Immobiliengeschäfte und Börsenspekulationen – und bleibt damit nicht nur für andere, sondern wohl auch für sich selbst ein Mensch voller Widersprüche. Lurie sagte dazu einmal:
IM RADIO
NS-Dokumentationszentrum Köln: NO!art - Ausstellung von Boris Lurie
Boris Lurie kombiniert Sex und Gewalt auf verstörende Art.
Der KZ-Überlebende konfrontiert in seinen Bildern
Pin-Up-Girls mit Holocaust-Opfern. Martin Stankowski hat sich die Ausstellung angeschaut
Redaktion: Anja Reinhardt
►Immigrant's suitcase #1 [Vorderseite], 1963
WDR5, Köln am 26.08.2014 [7:02 min]
Aber es ist seine Art, mit den eigenen Erfahrungen von Tod, Zerstörung und Schrecken umzugehen. "Ich hätte das gerne gemacht, angenehme Bilder. Aber es hat mich immer etwas daran gehindert", sagt er selbst. Sein Lebenswerk mit einer unmittelbaren, oft bis an den Rand des Erträglichen führenden Intensität beginnt er kurz nach der Befreiung aus dem KZ Buchenwald mit Zeichnungen und Ölarbeiten. In den 60er Jahren gehörte er mit Collagen und Skulpturen zur NO!Art-Bewegung, die sich radikal von der marktgängigen PopArt abgrenzt. Die wichtigsten künstlerischen Stationen werden erstmals als Gesamtschau in Deutschland gezeigt. ►mehr
ÜBER MARTIN STANKOWSKI: Er arbeitet als Journalist und Moderator überwiegend für den WDR und hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht. Bekannt wurde Stankowski durch seine Exkursionen zu historischen und aktuellen Schauplätzen des Kölner Stadtgeschehens. Sein Buch Köln - Der andere Stadtführer ist zum Klassiker geworden. Auch Kabarettprogramme, die er zusammen mit Jürgen Becker und Rainer Pause produzierte, trugen zu seiner Popularität bei und sind teilweise in Buchform und als Tonträger veröffentlicht. Außerdem war Stankowski 1983 Mitbegründer des Köln Archiv, einer Sammlung über Protestbewegungen in Köln seit den 60er Jahren, die im Historischen Archiv der Stadt Köln aufbewahrt wurde, nach dem Einsturz am 3. März 2009 aber zunächst als verschollen gilt. ►mehr
ÜBER DAS NS-DOKUMENTATIONSZENTRUM KÖLN
Willkommen im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Appellhofplatz 23-25 | D-50667 Köln | Telefon +49-221-2212-6332
Di-Fr 10-18, Sa, So 11-18 Uhr, 1. Do. im Monat
(außer an Feiertagen) 10-22 Uhr
Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln wurde am 13. Dezember 1979 durch Beschluss des Kölner Rates gegründet und entwickelte sich zur größten lokalen Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland. Es hat seit 1988 seinen Sitz im EL-DE-Haus, das nach den Initialen seines Bauherrn, des Kaufmanns Leopold Dahmen, benannt wurde. Dort befand sich von Dezember 1935 bis März 1945 die Zentrale der Kölner Gestapo. Im Innenhof des Gebäudes wurden in den letzten Monaten des Krieges mehrere Hundert Menschen, vor allem ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, hingerichtet. Wie durch eine Ironie des Schicksals blieb das EL-DE-Haus im Krieg weitgehend verschont.
Das NS-Dokumentationszentrum (NS-DOK) widmet sich dem Gedenken an die Opfer des NS-Regimes sowie dem Erforschen und Vermitteln der Geschichte Kölns im Nationalsozialismus. Am 4. Dezember 1981 wurde das ehemalige Gestapogefängnis als Gedenkstätte eröffnet. In den zehn Zellen sind rund 1.800 selbstständige Inschriften und Zeichnungen der Gefangenen erhalten. Die Gedenkstätte stellt als eine der am besten erhalten gebliebenen Haftstätten der NS-Zeit ein Kulturgut von nationalem und europäischem Rang dar.
Die Dauerausstellung „Köln im Nationalsozialismus", die seit Juni 1997 im EL-DE-Haus gezeigt wird, behandelt das gesamte politische, gesellschaftliche und soziale Leben Kölns in der NS-Zeit: Machtergreifung und Machtapparat, Propaganda und „Volksgemeinschaft", Alltagsleben, Jugend, Religion, rassistische Verfolgung und den Völkermord an den Kölner Juden und an den Sinti und Roma sowie Widerstand, Krieg und Kriegsgesellschaft. Darüber hinaus werden Sonderausstellungen zu lokalen und überregionalen Aspekten der NS-Zeit gezeigt und jährlich über 130 Veranstaltungen durchgeführt. Die Museumspädagogik und die Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus entwickeln in ihren Bereichen zahlreiche Bildungsangebote.
Das NS-DOK versteht sich auch als ausgeprägte Forschungsstätte. Dazu trägt die Bibliothek mit Literatur zu Köln in der NS-Zeit sowie zur allgemeinen NS-Geschichte und zum Rechtsextremismus ebenso bei wie die Dokumentation, welche die umfangreichen Sammlungen von Fotografien, Plakaten, Objekten, Dokumenten und Erinnerungsberichten sichert, in Datenbanken auswertet und zugänglich macht. Zahlreiche Forschungsprojekte behandeln z.B. die jüdische Geschichte, Zeitzeugenberichte und -interviews, die Zwangsarbeit, Polizei, Jugend, Presse und Vereinswesen, verschiedene Opfergruppen und das Gedenken an den Nationalsozialismus, wie im Projekt „Stolpersteine" des Kölner Künstlers Gunter Demnig. Zu den laufenden größeren Forschungsvorhaben zählen die Geschichte des Holocaust, Widerstand, Gestapo, NSDAP-Gauleitung, Stadtplanung, Gesundheitspolitik und „Hitler-Jugend". In einer eigenen Schriftenreihe, der Reihe „Arbeitshefte" und einer Reihe der Info- und Bildungsstelle sowie in vielen Einzelpublikationen und auf einer eigenen Internetseite werden die Forschungsergebnisse veröffentlicht. ►mehr
KOMMENTAR
WIE DIE KUNSTGESCHICHTE DURCH GELD MANIPULIERT WIRD: In dieser von der +++ BORIS LURIE ART FOUNDATION, New York unter der kuratorischen Leitung der Galeristin Gertrude Stein entstandenen Ausstellung sind sämtliche Boris Lurie Aktivitäten in Deutschland aus der Zeit von 1974 bis 2004 eliminiert und ebenso keine wichtigen Dokumente aus dieser Zeit für das Publikum zu sehen. Zu erwähnen ist hier die ►NO!art Anthologie, in der alle Aktivitäten von Boris Lurie und seinen befreundeten Künstlern bis 1988 dokumentiert sind, und das Katalogbuch ►NO!art in Buchenwald Boris Lurie: Gedichtigtes - Geschriebigtes mit seiner in baltendeutscher geschriebenen Poesie und Prosa über sein Leben seit den Rigaer Zeiten. Ebenso fehlen die Vorführungen der Filmdokumentation ►NO!art man Boris Lurie von Amikam Goldman mit einer Dokumentation aus den Jahren 1999 bis 2003 und die Filmdokumentation ►OPTIMISTIC - DISEASE - FACILITY [2003] von Naomi Tereza. Salmon [2003]. Beide Dokumentationen entstanden in einer Zeit, in der Boris Lurie noch nicht durch seinen späteren Herzanfall [2006] geschwächt war. Statt dessen wird der Film ►Shoah und Pinups von Reinhild Dettmer-Finke und Matthias Reichelt gezeigt, das ein Bild eines kranken Mannes zeigt. Leider konnte Boris Lurie zu dem Film nichts mehr sagen, weil er kurz darauf einen Schaganfall hatte. Es erweist sich hier mal wieder, dass Filmer, die Zugang zu öffentlichen Veranstaltungsplaetzen haben, Dokumentationen lancieren können, die nur bruchstückhaft ein Bild von einer Person zeichnen, das nicht der Thematik entspricht.
Im dem dicken ►Katalog [360 Seiten) wird Boris Luries' Geschichte vollkommen umgeschrieben von einem Autor, der Boris Lurie nie persönlich getroffen hat, geschweige denn ihn kannte. Es fehlen dort wichtige Quellenangaben sowie das Ausstellungsverzeichnis bisheriger Aktivitäten.
Hier scheint das NS-Dokumentationszentrum von der Foundation gekauft zu sein, die eine Ausstellung nach ihrem Gusto lancierte. — ►Dietmar Kirves.